Xxii. §. 7. Gottes Bußgericht in Deutschland. 447
Gnade schrieen. Wie es schon 100 Jahre früher in Italien und von
dorther auch in Deutschland Sitte geworden war, so vereinigten sich
auch jetzt wieder große Schaaren zu schweren Bußübungen nach der
Weise der damaligen Zeit. Mit entblößtem Rücken und verhülltem
Haupte gingen sie paarweise einher, und schlugen sich selber mit har-
ten Riemen dergestalt, daß das Blut auf den Boden herabfloß. Tau-
sende zogen so aus einer Stadt in die andere, geführt von Geist-
lichen mit Kreuzen und Rauchfässern. Aus den Straßen und in den
Kirchen lagerte die Menge, sich geißelnd, ihre Sünden bekennend,
Litaneien singend und um Erbarmen schreiend. Und wohl mochten
sie Ursache haben, sich also zu demüthigen, denn die Sünden der da-
maligen Zeit waren entsetzlich und schrieen gen Himmel. Wie konnte
es auch anders sein, da so lange kein Kaiser, kein König, keine allge-
mein anerkannte Obrigkeit dagewesen war, welche Recht und Gerech-
tigkeit nachdrücklich hätte handhaben können. Die Geistlichkeit, welche
der Rohheit und Zuchtlosigkeit unter dem Volke hätte wehren und
auf die Verbesserung der sittlichen Zustände hätte hinwirken sollen,
war selbst unglaublich tief gesunken. Die meisten Priester konnten
kaum lesen, lebten in offenbarer Hurerei, und waren Helden im Zechen.
Die Mönchs- und Nonnenklöster waren so voll Liederlichkeit und ge-
meiner Wollust, daß ehrbare Eltern anstanden, ihre Söhne oder Töch-
ter dahinein zu senden. Die Gottesdienste bestanden aus Nichts als
Messelesen und sonstigem tobten äußerlichen Werk. Vom Wort Got-
tes und Predigt war keine Rede. Nur die Bettelmönche und unter
diesen auch nur die Franciscaner, fuhren auch jetzt noch fort, sich seel-
sorgerisch und predigend umherziehend des armen Volkes anzunehmen.
Aber auch die Franciscaner waren in einer ärgerlichen Spaltung be-
griffen. Der größte Theil suchte sich gleich wie die Dominicaner von
dem Joche der Armuth loszumachen und die strengen Regeln des
Franciscus durchbrechend, sich die Genüsse des Reichthums wieder zugäng-
lich zu machen. Die strengere Partei war sogar von dem Papst in
den Bann gethan und in die gleiche Classe gesetzt mit den Brüdern
des gemeinsamen Lebens, den Begharden und anderen freien Vereinen,
welche nach Möglichkeit ein gottesdienstlich apostolisches Christenleben
wiederherstellen wollten und deshalb von der Geistlichkeit der Ketzerei
bezüchtigt wurden.
Fragen wir nun nach den Erfolgen jener schweren Heimsuchungen
Gottes, die jetzt nach 500 Jahren, wenn auch in abgeschwächter Form
wiederzukehren schienen, so müssen wir sagen, sie haben damals wie
jetzt wenig ausgetragen. Denn auch jene Flagellanten oder Buß-
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Extrahierte Personennamen: Franciscus
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Italien Deutschland Gottes
244 Xv. §. 8. Nachwirkungen des Strafgerichts über Jerusalem.
Jerusalem ausgesetzt. Aber desto eifriger und wilder wurde von den
Juden drinnen wider einander gekämpft. Zwei, drei Parteien bekrieg-
ten sich in der Stadt und auf dem Tempelberg mit namenlosen Greueln.
Um das Maß des Schrecklichen voll zu machen, rief die unterliegende
Partei der Zeloten eine idumäische Räuberbande in die Stadt. Da
folgte Marter auf Marter, Mord auf Mord. An 12,000 Juden wur-
den binnen wenig Tagen von ihren eignen Brüdern und Religionsge-
nossen zu Tode gequält und ihrer Güter beraubt. Und war die eine
Mörderschaar abgezogen, so kam die andere wieder und fing das
Mordgeschäft und die Greuel viehischer Wollust und die Schandthaten
vollendeter Gotteslästerung von vorn wieder an. Als Titris endlich
um Jerusalem her eine Wagenburg (Einschließungsmauer) ziehen ließ
(Luc. 19, 43), da war das Elend drinnen schon so groß, daß es kaum
noch wachsen zu können schien. Ueberall Mord und Brand, Kampf und
Getümmel, Verheerung und Trümmer, Haufen unbegrabener Leichen,
geschändete Heiligthümer, unnatürliche Ausschweifung, Wehegeschrei,
Wuth, Verzweiflung. Jetzt kam noch eines dazu, der Hunger. Da
geschahen nicht bloß die unter solchen Hungerqualen in belagerten
Städten öfter wiederkehrenden Greuel, sondern die schreckliche Weissa-
gung ging in Erfüllung, daß Mütter ihre eignen Kinder verzehrten. In
wenig Wochen wurden aus einem einzigen Thore Jerusalem's 115,000
Todte geschleppt. Ungezählt blieben, die über die Mauer geworfen
wurden. Endlich ward die Stadt erstürmt, nur der Tempel blieb noch
übrig. Wie Furien kämpften die Juden noch um dies höchste Heilig-
thum. Gern wollte auch Titus das stolze Prachtgebäude retten.
Aber Gott hatte seinen Untergang beschlossen. Unter dem Kampfge-
geheul und Wehgeschrei der Juden, unter dem Schwertergeklirr und
Siegesjauchzen der Römer sank der heilige Gottespalast in Asche,
und als am 8. September des Jahres 70 die Sonne wieder aufging,
suchten ihre Strahlen vergebens die hochgebaute Stadt Jerusalem; sie
fanden nur noch eine weite Oede voll rauchender Trümmer und bluti-
ger Leichen.
§. 8. Nachwirkungen des Strafgerichts über Jerusalem.
Zwar wird uns in den christlichen Schriften damaliger Zeit
nichts Näheres berichtet über die Wirkung, welche das offenbarliche
und auch dem blödesten Auge wahrnehmbare Strafgericht Gottes
über fein eignes auserwähltes Volk auf die Zeitgenossen geübt hat.
Aber daran können wir ja nicht zweifeln, daß wenigstens alle Chri-
sten von Ehrfurcht und Entsetzen über die Wahrheit und Gerechtig-
keit der lange vorher angedrohten Gerichte Gottes erfüllt wurden. In
tiefer Trailer über das verblendete Israel werden sie nur desto wach-
samer und besorgter für sich selbst geworden sein, daß ihnen nicht
selbst einmal Aehnliches oder Aergeres widerfahre; und so Viele unter
ihnen nach dem Fleische selbst aus Israel stammten, werden jetzt
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Extrahierte Personennamen: Luc Titus
Extrahierte Ortsnamen: Jerusalem Jerusalem Wehegeschrei Heilig- Jerusalem Jerusalem Gottes Gottes Israel Israel
Xiv. §. 5. Göttliche Warnungszeichen.
205
hafte Wunden schlagen und todt darmederstrecken. Und mit der Ge-
wöhnung an solche blutige Spiele wuchs das Wohlgefallen daran und
die Gier darnach. Um noch mehr Abwechslung hineinzubringen,
ließ man die Fechter auch mit Thieren kämpfen, oder ließ auch wohl
Heerden wilder Bestien gegen einander los. Immer größer wurde die
Zahl der elenden Geschöpfe, die, in besonderen Sklavenkerkern und Fech-
terschulen zusammengepfercht, ohne freundlichen Rath, Trost und Zu-
spruch den Untergang ihres frühern Glückes und Wohlstandes beseufz-
ten oder ihre rohe Kraft in wildem Unmuth verzehrten. Keine Got-
tesfurcht, keine mildernde Lehre, keine tröstende oder schreckende Aus-
sicht auf eine ewige Vergeltung hielt sie in Schranken. Konnten sie dem
Treiber seine Geißel entwinden, konnten sie die Kerkermauern brechen,
so war jeder Zaum und Zügel abgestreift und furchtbar mußte ihr ver-
zweifelnder Grimm über Schuldige und Unschuldige daherbrausen.
Das geschah 136 bis 133 auf Sicilien. Bald standen an 70,000
Sklaven unter der Führung des Eunus unter den Waffen. Mehrere
Consularheere wurden geschlagen, die meisten Städte waren in ihrer
Gewalt. Schon drohte der Krieg auch nach Italien sich hinüberzu-
spielen. Da gelang es, den Führer zu sangen und den Aufstand zu
dämpfen. Es war nur ein Vorzeichen schwererer Kämpfe, die bevor-
standen. Denn gar schnell wiegten sich die Römer wieder in die alte
Sicherheit, und Sklaven und Fechter wurden nachher nicht besser be-
handelt als vorher. Der Wink des Herrn blieb unbeachtet. Es sollte
nicht lange dauern, bis sie von derselben Seite her auf's Neue und
noch schwerer gezüchtigt wurden.
§.5. G öttliche Warnungszeichen.
Jetzt aber kam eine Zeit, wo die Römer auch noch auf einer
andern Seite ihres Elends inne werden sollten, wo sogar der Be-
stand ihres Reichs in Frage gestellt ward. Die nun beginnenden
Parteikämpfe der Römer wurden nämlich durch ein Ereigniß unter-
brochen, welches die größte Aehnlichkeit hat mit dem Einbruch der
Gallier im I. 390. So wie damals der wilde Kampf zwischen
Plebejern und Patriciern, der jeden Augenblick in blutige Straßenge-
fechte und greuliche Mordscenen ausartete, durch die Gallier auf
kurze Zeit zum Stillstand und die Römer durch schwere Erfahrungen
des göttlichen Strafgerichts zur Besinnung gebracht wurden, so sollten
auch jetzt die von Norden her eindringenden unzählbaren Schaaren ge-
waltiger Kriegeshelden wie mahnende Gerichtsboten an ihre Thür
pochen, ob sie sich^noch einmal wecken ließen aus ihrer sittlichen Ver-
sumpfung. Denn das war offenbar, wenn es s o fortging, so mußte
das Römerreich bald genug in Trümmer fallen. Das hatte mit un-
widerleglicher Klarheit zuletzt noch der numidische Krieg gegen den Ju-
gurtha gezeigt. Wo Senat und Volk, Consuln und Tribunen,
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450 Xxii. §. 8. Die neue Staatskunst der luxemburgischen Kaiser.
gleicher Weise geknechtet hätte, wie es damals den Böhmen geschah.
Statt dessen halte Karl Iv. in dem einzigen wichtigen Reichsgesetz,
das er erließ, in der sogenannten goldenen Bulle (1356), den sieben
Kurfürsten — Böhmen, Sachsen, Pfalz und Brandenburg, und Mainz,
Trier, Köln — das eigentliche Reichsregiment in Deutschland über-
tragen. Sie waren nicht bloß unabhängige Fürsten in ihrem eignen
Gebiet, sondern sie sollten auch mit dem Kaiser die Wächter und
Pfleger der Ordnung im gesummten Deutschland sein. Das Letzte
war nun freilich damals unausführbar. Ein jeder Fürst strebte na-
türlich nach gleicher Unabhängigkeit und Selbstherrlichkeit wie die Kur-
fürsten und richtete sich in seinem eignen kleinern oder größern Ge-
biete so gut ein, wie er konnte, vereinbarte sich mit seinen Ständen
(Adel, Prälaten und Städten) über die Steuern und über die gesetz-
lichen Einrichtungen im Lande und suchte mit seinen Nachbarn in
Krieg oder Frieden fertig zu werden wie es eben ging. Am meisten
aber wuchs die Macht der Städte, die durch Handel und Gewerbe
emporgekommen waren. In weitreichenden gewaltigen Verbindungen
(der Hansabund zählte in dieser seiner Blüthezeit über 60 Städte)
waren sie fremden Königen und Völkern nicht weniger furchtbar als
den benachbarten deutschen Fürsten, und den Städteverbindungen muß-
ten oft genug Fürftenbündnisse entgegengestellt werden, um die über-
greifende Gewalt der stolzen Städter zu brechen. Hier in den Städten
nämlich kam nun die Masse des Volks zum rechten Bewußtsein ihrer
Kraft; hier gaben sich die Innungen ihre eignen Gesetze, hier saßen
neben den Patriciern die Zunftmeister auf den Rathsbänken; hier
hatte der kühnste wie der klügste Bürger einen weiten Spielraum zum
Gebrauch seiner Kräfte, zur Förderung des Wohls der einzelnen Ge-
werkschaft, der ganzen Stadt oder des geflammten Bundes. Hier
vertauschte der sangreiche Handwerksmann sein wehendes Barett
freudig mit dem Lederhelm und das Handwerkszeug mit der
Hellebarde, bald mit der Muskete, um den eignen Herd gegen
den Feind zu schirmen. Hier wurden nach Erfindung des
Schießpulvers zuerst die metallenen Röhren gegossen, aus denen die
ungeheuren Steine oder Kugeln gegen die Burgen der Dränger ge-
schleudert wurden. Hier gürtete auch der Kaufmann unternehmenden
Sinnes das Schwert an die Seite, um auszuziehen in weit entlegene
Länder und für reichen Gewinn Maaren zu tauschen jenseit des Mee-
res. Hier sammelte sich der Reichthum, hier wuchs die Wohlhäbig-
keit, hier gründete sich der feste Bau eines unbezweifelten wohlgeord-
neten Besitzstandes; hier erhoben sich die-herrlichen Dome, die stolzen
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_Iv Karl
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Brandenburg Mainz Trier Deutschland Deutschland
Xxv. §. 7. Die französische Revolution. 597
Unschuld ist da gemordet, wie viel Todessamen da in die jugendlichen
Herzen und Leiber eingesäet! Wie glücklich waren dagegen noch die
Hunderttausende zu preisen, welche, ersäuft, oder von Kartätschen zer-
schmettert, oder vom Fallbeil getroffen, ein schnelles, muthiges Ende
nahmen. Auch die Todesschrecken verlieren ihre Wirkung durch die
tägliche Gewöhnung. Da man täglich nichts Anderes als Blut und
Leichen sah, ward man gegen den Anblick abgestuinpft, da man stünd-
lich die Abführung in's Gefängniß oder vor das Tribunal erwarten
mußte, so gewöhnte man sich an den Gedanken und sah dem schreck-
lichen Augenblick mit verhältnißmäßiger Ruhe entgegen. In den Ker-
kern traf man jederzeit die beste Gesellschaft. Alles, was vornehm,
reich, gebildet, in irgend welcher Weise ausgezeichnet war, das hatten
die Schreckensmenschen des Convents dorthin gebracht. Der franzö-
sische Leichtsinn wußte sich auch in dieser schauerlichen Zeit sein Ver-
gnügen zu suchen. In dem Kerker selbst, nur wenig Schritte von der
Guillotine scherzte, sang und lachte man, erlustigte sich, wo man's ha-
den konnte, bei Wein und Braten und setzte eine Ehre darein, sich mit
Standhaftigkeit zum Tode führen zu lassen. Und wie hätte das ge-
meine Volk, dieser entartete Haufe nicht gleichgültig werden sollen
gegen die unzähligen Hinrichtungen. Wo man täglich die Karren mit
den Verurteilten zum Richtplatz fahren sieht, täglich 30 bis 40, gar
60 bis 80 Häupter auf demselben Platze fallen sieht, wo die edelsten
Namen, wo Männer und Frauen, wo die eben noch mächtigsten Führer
und Volksredner um die Wette das Blutgerüst besteigen und Alle mit
heiterm Muthe oder angenommener Gleichgültigleit zum Tode gehen,
da ist es kein Wunder, daß man zuletzt selbst vergißt, was das Men-
schenleben denn eigentlich auf sich hat. Da war es denn etwas ganz
Neues, Unerhörtes, Grausiges, als gegen Ende der Schreckenszeit ein
elendes Weib, eine ehemalige Maitreffe Ludwig's Xv-, auf die Blut-
buhne geschleppt wurde, und unter all den ruhigen, gefaßten, gleichgül-
tigen Delinquenten in entsetzlicher Todesangst mit Zetergeschrei und
Flehen um ihr Leben, überall sich anklammernd, wehrend, sträubend,
unter schrecklichen Konvulsionen dahinfuhr. Das brachte auch bei den
rohesten Zuschauern allerlei Gedanken hervor, da fing man an sich zu
besinnen, was man denn eigentlich thue, in welches Meer von Blut
man hineingewatet sei, wohin man auf diesem Wege endlich kommen werde.
Denn schon waren alle Häupter, Führer und Väter der Revolu-
tion von demselben gräßlichen Schlund verschlungen worden. Zuerst
vor und nach der Hinrichtung des Königs tödtete man doch nur die
königlich gesinnten Freunde der Ordnung und des Christenthums.
Nachdem man aber mit den Anhängern des Königthums glaubte auf-
geräumt zu haben, tödteten die wilden oder rothen Republikaner (Berg-
partei) die gemäßigten, anständigen, ehrbaren Republikaner (Gironde).
Dann wurden die wilden Republikaner wieder von noch wilderen als
Volksverräther umgebracht, bis zuletzt nur noch ein Paar der wildesten
übrig blieben, eingefleischte Teufel, welche der ganzen Welt gern den
Hals abgeschlagen hätten, um sich selbst zu Alleinherren zu machen.
An ihrer Spitze Robespierre, dieser seichte Kopf mit einem halben
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626 Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
Hoffnungsfreudigkeit zu stärken, schien lange Zeit Nichts mehr gelingen, ja
es schien Alles hinter sich gehen und einen noch schrecklichern Ausgang
nehmen zu wollen, als im ersten Kriege. Im März 1813 war der
Krieg an Frankreich erklärt und die vereinigten preußischen und
russischen Heere allmälig bis an die Elbe und nach Sachsen vor-
gerückt. Aber seitdem war den ganzen Sommer durch kaum etwas
Nennenswerthes geschehen, vielmehr schienen aller Orten Hindernisse
aufzusteigen. Der König von Sachsen sammt den übrigen Rhein-
bundfürsten wollten durchaus sich nicht entschließen, Napoleon's
Sache aufzugeben und es mit den Verbündeten zu halten (dafür
mußte sein Sachsenland dies Mal die Hauptlast des Krieges tragen
und später sich bis auf die Hälfte verkleinern lassen). Oe st re ich, das
so oft von Preußen und dem übrigen Deutschland schmählich im Stich
gelassen war, wo es den Kampf gegen Napoleon wagte, zögerte
lange, lange, ehe es sich zum Beitritt entschloß. Ein Haupttheil der
Armee, unter den Oberbefehl des schwedischen Kronprinzen (Ver-
nadotte) gestellt, der sich durch seine Mitwirkung, statt des an Ruß-
land verlorenen Finnland, Norwegen von den Dänen erwerben sollte,
war durch seinen übelwollenden Führer fast zur Unthätigkeit gezwun-
gen und griff mehr hemmend als fördernd ein. Unter den russischen
und preußischen Befehlshabern zeigte sich Uneinigkeit und kleinliche
Eifersüchtelei, die nur durch des wackern Blücher ruhiges Benehmen
im Zaume gehalten wurde. Endlich Napoleon selbst war wieder
mit dem Aufgebot von Frankreichs ganzer letzter Kraft auf dem Kriegs-
schauplatz erschienen, drängte die Armee der Verbündeten tief in's
Böhmergebirge und nach Schlesien zurück und nöthigte sie zu einem
Waffenstillstände auf mehrere Wochen. Das waren kummervolle
Nachrichten für die vielen kampfbegeisterten, freiheitssehnenden Herzen.
Sollten denn all die Opfer umsonst gebracht, all das edle Blut um-
sonst verspritzt sein? Sollte ein elender schimpflicher Friede geschlos-
sen und der alte Jammerftand auf's Neue befestigt werden? Es war
ja nicht möglich. Gott konnte das einmüthige Flehen der Hundert-
tausende nicht unerhört lassen. Er hatte angehoben zu segnen und zu
richten, er mußte sein Werk auch vollends hinaussühren. Und siehe,
er hat es gethan. Alle die Unfälle, die Fehler, die Zögerungen der
Verbündeten mußten unter dem Walten seiner allmächtigen Hand in
eben so viele Vortheile sich verwandeln. Die Ränke und Kniffe, durch
welche der französische Kaiser das Bündniß sprengen und sich den
Sieg sichern wollte, mußten am Ende zu seinem eignen Verderben aus-
schlagen. Mitte August war es, als alle Friedensunterhandlungen
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon August
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Frankreich Sachsen Sachsen Deutschland Finnland Norwegen Frankreichs
108 Ix. §. 6. Ahaöveruö und Arthasastha (529 — 521).
dem willigen Zugeftändniß seines Verstandes doch die Eroberungsge-
lüste so sehr vor, daß er auf die religiösen Dinge sich nicht tief ein-
ließ. Aus Esra 4, 5 scheint sogar hervorzugehen, daß er in der
letzten Zeit seiner Regierung auch die Juden wieder ungünstig be-
handelte, seine eignen Befehle widerrief und den Bau Jerusalem's
und des Tempels verhinderte. Also erobern, das Reich ausbrciten
und mehren, unbekümmert um die religiösen Einwirkungen, das war
der eigentliche Charakter des Perserthums. Während der ganzen Re-
gierungszeit des Cores dauerten die Eroberungszüge ununterbrochen
fort, und nicht minder unter seinen Nachfolgern Cambyses, Da-
rius, ekerres und Artarerres. Sobald dann aber das Weiter-
greifen und Umsichfressen aufhört, scheint auch der frische Blutumlauf
in dem Reichskörper zu stocken, er geht unaufhaltsam seinem Verfall
entgegen.
Auch in dem Gesicht des Daniel (Cap. 8) wird die Eroberungs-
lust als das Eigenthümliche des Perserreichs hervorgehoben. Dort
erscheint es unter dem Bilde eines Widders, der nach allen Seiten
stößt. Von seinen zwei Hörnern ist eines höher als das andere, doch
vas höchste wuchs am letzten. Dadurch soll die doppelte Nationalität
der Meder und Perser angezeigt werden, welche ihre Kraft erst vereini-
gen mußten, um die Weltherrschaft zu gewinnen. Aber die Perser, ob-
wohl sie sich zuletzt erhoben halten, blieben doch gewaltiger als die
Meder und waren das herrschende Volk. Aehnliches ist angedeutet
durch die Stellung des Bären (7,5), welcher aufder einen Seite
liegt, und aus der andern Seite, also halb aufgerichtet, steht; und
durch die Brust 2, 32, deren eine Seite mit dem schlagenden Herzen
edler ist als die andere. Die Arme, welche als mit zur Brust gehö-
rig bezeichnet werden, bedeuten die beiden Haupteroberungen, welche
noch mit zum Perserreich hinzugefügt wurden, nämlich Klein-Asien, in-
sonderheit das lydische Reich, und Aegypten. Letzteres wurde erst
durch des Cores Nachfolger gewonnen; aber Klein-Asien eroberte
Cores, wie oben bemerkt wurde, noch selber. Gegen das Ende sei-
nes Lebens wandte sich der Letztere gegen den Norden, um mehrere
arisch.germanische Völkerschaften zu bekriegen, die vermuthlich die Si-
cherheit seiner dortigen Reichsgrenzen bedrohten, Nach der gewöhnli-
chen Erzählung soll er im Kampf gegen die Massagetenkönigin To-
ni yris gefallen sein (529). Doch sind die Nachrichten über sein Le-
bensende nicht ganz sicher.
§. 6. Ahaöverus und Artasastha (529 — 521).
Des Cores Sohn Ca m b yse6 (Ahasverus), der als ein sehr gewalt-
thätiger und grausamer Mensch geschildert wird, war ganz der Mann
dazu, um die Eroberungspläne seines Vaters weiter fortzufübren.
Für ruhige Verwaltung seines großen Reichs hatte er wenig Sinn.
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284 Xvii. §. 9. Einbruch der Hunnen in das Römerreich ic.
mittlere Europa bis an's westliche Meer zu unterwerfen, ehe er die
südlichen Länder gleichfalls angriffe. Und wirklich drang er mit sei-
nen wilden Reiterschwärmen tief nach Gallien hinein; schon lagerte
er vor Orleans, schon zitterten Franken, Westgothen und Römer vor
dem furchtbaren und unabwendbaren Feind, dessen Rosseshufe alle
Cultur und christliche Bildung zu zerstampfen drohten — da sprach
der Herr: bis hieher und nicht weiter! Der rasende Gewittersturm
sollte die Luft reinigen, aber nicht die Erde wie mit neuer Sündfluth
zu Grunde richten- Gott hatte nicht bloß den Attila erweckt, den
Zerstörer, sondern auch den Aetius, den tapfern und klugen Lenker
des römischen Staats, den wir schon kennen, den Retter und Erhal-
ter des Reichs und der Kirche. Dieser kluge und kühne Feldherr
hatte sich schnell mit den Weftgothen des südlichen Galliens in Ver-
bindung gesetzt und rückte mit ihnen an der Rhone aufwärts, daß er
dem Heer des Attila in den Rücken kam. Da ließ Attila von
Orleans ab, und auf den katalaunischen Feldern (bei Chalons) er-
folgte jene fürchterliche Schlacht, in welcher Hunderttausende wilder
Krieger, aus ganz Europa und Asien gesammelt, sich bis zum Tode,
ja, wie die Sage will, noch über den Tod hinaus mit wüthender
Erbitterung bekämpften (451). Der Sieg war nicht entschieden, aber
Verlust und Gefahr am größten auf der Seite Attila's. Da er
nicht gesiegt hatte, so hatte er den Muth verloren, nach Westen hin
weitere Eroberungsversuche zu machen. Er wandte sich gegen den
Süden, gegen Italien, drang von Aquileja aus in die Ebenen des
Po, wollte sich dann abermals über den Oberrhein und Jura auf
Gallien stürzen: da ward er inmitten seiner gewaltigen Pläne und
Kriegszüge ermordet (453). Mit seinem Tode war das eiserne Joch
gesprengt, welches so viele germanischen Völker bisher zu tragen
hatten. Kein unterworfener Stamm blieb unterthänig und gehorsam,
Attila's unzählige Söhne bekriegten sich unter einander. Wie ein
glänzender Feuerball war seine Macht aufgestiegen; eben so schnell
verlosch sie wieder. Die Reste der Hunnen verschmolzen mit Sar-
maten und anderen slavischen Stämmen nordwärts des schwarzen Mee-
res zu dem Räubervolk der Bubgaren.
Mitten unter diesen Sturmen einer untergehenden Welt war der
Cäsarenthron in Rom oder Ravenna nur von elenden Schwächlingen
besetzt, die nichts als ein Spielball in der Hand ihrer Umgebungen
waren. Dagegen erhob sich in Rom bereits eine andere Macht, bereit
und geneigt, den Scepter, der den Händen der weibischen Rachkommen
des Theodosius entglitt, in ihre Obhut zu nehmen und mit ge-
schickteren Händen und auf gesicherterer Grundlage über die Völker
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Extrahierte Personennamen: Gott Attila Attila Attila_von
Orleans Muth Aquileja Theodosius
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